Über sexualisierte Gewalt und das korrekte Eingreifen bei Verdachtsmomenten sprachen am 14. Juni 2023 etwa 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einem Fachtag im Weißenfelser Kulturhaus. Ein Thema, das aufgrund des Falls Till Lindemann und der Debatte um die Studie „Spannungsfeld Männlichkeit“ von PLAN International aktueller nicht sein könnte.
Laut der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Weißenfels Katja Henze folgt nach derartigen Vorfällen ein immer gleiches Muster sowohl in der gesellschaftlichen Debatte als auch bei den anschließenden Forderungen. Nachdem Betroffene Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen öffentlich gemacht haben, würden weitere Frauen die Anschuldigungen durch eigene, ähnliche Erfahrungen erhärten. Die mutmaßlichen Täter streiten jegliche Schuld jedoch ab. Nach einer anfänglichen Empörung würden die Frauen und ihr Verhalten in Frage gestellt. Dieses wiederkehrende Muster in der Be- und Verarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt führt Katja Henze zufolge scheinbar zu einem Gewöhnungseffekt, denn das gesellschaftliche Interesse an diesen Themen ebbt für gewöhnlich schnell wieder ab. Die Landesbeauftragte für Frauen- und Gleichstellungspolitik Sachsen-Anhalt Sarah Schulze stimmt ihr zu. „Man fordert dann Schutzkonzepte für Frauen und zusätzliche finanzielle Mittel, um das Hilfesystem bei Gewalt gegen Frauen zu stärken. Das sind selbstverständlich sinnvolle Maßnahmen. Damit allein wird es uns aber nicht gelingen, die Ursachen sexualisierter Gewalt in unserem Land zu bekämpfen.“
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist Sarah Schulze zufolge ein gesellschaftliches Problem. „Frauen können nur sehr bedingt beeinflussen, ob Männer ihnen gegenüber übergriffig werden – auch wenn wir von klein auf anders sozialisiert werden. Schon junge Mädchen bekommen gesagt, meide gefährliche Wege, mach einen Selbstverteidigungskurs, hab Pfefferspray in der Tasche, pass auf dein Glas auf“, sagte die Landesbeauftragte. Es brauche einen Perspektivwechsel, damit Gewalt in der Gesellschaft nicht immer wieder legitimiert wird. „Wer Gewalt gegen Frauen bekämpfen will, muss Männer und ihr Verhalten in den Blick nehmen. Wir brauchen endlich eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, dass Frauen in Deutschland nicht sicher sind. Wir brauchen eine stärkere Sensibilisierung für Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt, mehr Prävention, mehr Konfliktberatung, mehr Täterarbeit, mehr Anti-Gewalt-Trainings“, sagte Sarah Schulze. Der Fachtag in Weißenfels sei in diesem Zusammenhang ein sehr wichtiger Beitrag.
Der Fachtag „Intervention bei sexualisierter Gewalt“ wurde organisiert von den Gleichstellungsbeauftragten des Burgenlandkreises, der Stadt Weißenfels und der Stadt Naumburg in Kooperation mit dem Verein Wildwasser aus Halle. Unterstützt wurden sie von ehrenamtlichen Helferinnen des Frauenhaus-Vereins. Die Veranstaltung war binnen kürzester Zeit ausgebucht. Der Fachtag richtete sich an Personen, die am Hilfeprozess beteiligt sind. Ziel war es, das Thema sexualisierte Gewalt aus der Tabuzone herauszuholen und die Helferinnen und Helfer für verschiedene Formen dieser Gewalt zu sensibilisieren, sodass sie fähig sind, bewusst hinzuschauen und Signale in Verdachtsmomenten wahrnehmen zu können. In Workshops konnten sich die Frauen und Männer zudem über die Dokumentation von sexuellen Übergriffen und über den Umgang mit Betroffenen informieren. Zudem wurden Fallbeispiele vorgestellt und Handlungsempfehlungen gegeben.
Die Fachberatungsstelle Wildwasser Halle e.V. verzeichnet schon seit Jahren einen Anstieg an Beratungsanfragen. Dies ist unter anderem auf das gesteigerte Problembewusstsein zu sexualisierter Gewalt im beruflichen, sozialen und familiären Umfeld zurückzuführen. Astrid Herrmann-Haase, Sexualwissenschaftlerin und Fachberaterin beim Wildwasser Halle e.V., berichtete in einem Impulsreferat von der aktuellen Situation. „Sexualisierte Gewalt findet unter uns statt, jeden Tag. Jede vierte Frau in Deutschland erlebt Gewalt“, sagte sie. Dabei gebe es zwar auch immer wieder Fälle von Fremdtätern aber meistens kennen Betroffene die Person, die ihnen gegenüber übergriffig geworden ist. Durch die sozialen Medien sinke die Hemmschwelle, sich übergriffig zu verhalten, noch weiter ab. In ihrem Vortrag sprach Astrid Herrmann-Haase vor allem darüber, was es braucht, damit Betroffene sich öffnen. Entscheidend in solch einer Situation sei, dass Helferinnen und Helfer immer wieder signalisieren, dass sie ansprechbar sind und dass sich Betroffene ihnen anvertrauen können. Was einfach klingt, ist in der Realität oft die größte Hürde, denn sowohl die eigene Sexualität als auch Gewalt sind in der Gesellschaft Tabuthemen.
Quelle: Stadt Weißenfels